Unsere täglichen Drogen gib uns heute

Neulich hab ich mir mal wieder Gedanken über das alte Thema „Legalize it!“ also den Sinn und Unsinn der Legalisierung von Cannabis gemacht und bin dabei derart abgeschweift, dass es interessant wurde.

Man braucht keine Drogen, um Dinge anders zu sehen.

„Eintritt für männliche Limbotänzer verboten.“ Kreative Menschen brauchen keine Drogen, um die Welt anders zu sehen!

Dass es rational gesehen Unsinn ist, Tabak und Alkohol zu erlauben, aber gleichzeitig Cannabis, LSD und Konsorten zu verbieten und die Nutzer damit zu kriminalisieren, ist keine Glaubensfrage, sondern eine inzwischen durch mehrere Studien belegte Tatsache. Wer das nicht glaubt, der höre einfach mal Professor David Nutt eine Stunde lang zu.

Die Verbotsfrage ist eine politische Frage, über die man sich aufregen kann oder nicht. Die Kernfrage stellt allerdings kaum einer, nämlich: „Warum brauche ich Drogen?“ Und jetzt sag bloß nicht „ich nehm keine“! Nach dem Aufstehen gibt’s erst einmal eine Tasse Kaffee. Im Büro die zweite, dritte, vierte, das macht munter. Nicht so schlimm? Genau so wenig wie Cannabis, zumindest falls Du eine Spinne bist. Denn dann fängst Du unter Koffeineinfluss viel weniger Fliegen, wie diese nette Studie belegt hat. Der Mensch tickt da anders, aber warum braucht er Drogen? Weil er ohne sie zu müde ist und unsere „böse“ Wirtschaft uns entfremdet hat?

Eine Droge ist eine Substanz, die etwas in unserem Körper verändert. In der Medizin wird diese Tatsache oft genutzt, um körperliche oder psychische Schmerzen zu lindern, Krämpfe zu lösen und zu entspannen. Aber wieso brauche ich als gesunder Mensch Drogen? Genau das habe ich einmal während einer Sendung auf Radio Horeb einen ehemaligen Heroin-Junkie gefragt. Seine Antwort hat mich überrascht:

„Jeder Drogenkonsum ist purer Egoismus“

In seinem Fall hat die Droge Heroin einen allumfassenden Lebensstil geschaffen, sie war der Mittelpunkt, um den er alles andere angeordnet hat: Freunde, Arbeit, Schlafrhythmus, alles. Warum er das tat? Langeweile, Flucht aus dem Alltag, aus dem Leben. Raus kam er da nur, indem er seinen Junkie-Lebensstil gegen einen komplett abstinenten Lebensstil eingetauscht hat. Statt Droge hat er nun Frau und Kinder, da bleibt wenig Zeit für Egoismus.

Nicht alles was schmeckt, ist gesund, sagt Mama.

Deine Drogen, meine Drogen, unsere Drogen …

Aus dieser Geschichte erspüre ich den Grund für die tägliche Droge. Es ist eine Lifestyle-Frage, dieses „das-brauch-ich-jetzt“. Der Kaffee als Stütze, um in den Tag starten zu können. Ich bin zu spät ins Bett, stehe zu früh auf, brauche-jetzt-etwas. Das tut mir nicht gut, besser wäre ein anderer Rhythmus, aber ich will nicht. Die Raucherpause: Raus aus dem Büro, in die Ecke allein oder mit Gleichgesinnten, Rauch in die Luft blasen, einen klaren Kopf kriegen, fokussiert sein. Das tut mir nicht gut, besser wäre mehr Sport und konzentriertes Arbeiten, aber ich will nicht, denn das-brauch-ich-jetzt. Ich will, dass ich mir das „besser gehn“ kaufen kann.

Und dann wundere ich mich, dass es mir nicht im Sommer mit seinen Grillabenden und Bierrunden am besten geht, sondern im Februar, in der Fastenzeit, wenn jede Droge inklusive Kaffee aus meinem Leben verbannt ist, der Sport mehr Bedeutung bekommt und das Miteinander. Hier geht’s nicht mehr die Frage, was der Staat verbieten sollte oder nicht. Hier fragt es sich nur: Was sollte ich selbst tun oder lassen?

„Ja, aber …“

Ja aber mein Job ist so stressig, ich schlafe so wenig, muss mich entspannen, es ist so gesellig, das brauch ich jetzt und Jesus hat ja auch Wasser in Wein verwandelt, um eine Hochzeit zu retten … Alles richtig und während ich diesen Text schreibe, steht neben mir ein dampfender Kaffee. Aber die Frage „warum mach ich das?“ treibt mich halt um. Ich weiß nicht, ob komplette Abstinenz die Antwort wäre. Wenn das in einen verbiesterten Lebensstil führt, wohl eher nicht. Ich weiß nur, dass es nicht heißt „unsere tägliche Droge gib uns heute“. Ein Denkanstoß, der weg führt vom moralischen Zeigefinger und näher zur Freiheit. Ob Cannabis oder Kaffee ist in dem Fall Wurst. Womit wir beim Thema „Fleisch“ wären, aber das ist eine andere Baustelle …

2 Gedanken zu „Unsere täglichen Drogen gib uns heute

  1. Ein paar Bemerkungen:

    1. nichts für ungut, aber – weg vom moralischen Zeigefinger ist was anderes. Und auch der demütige Verweis darauf, daß man selber das ja auch tue, stellt keinen Freibrief dafür aus, seinen Mitmenschen, die christlich moralisch leben wollen, alles mögliche zu verbieten.

    2. Der Sinn und Zweck der Fastenzeit ist nicht (oder höchstens akzidentiell), so zu leben, wie man eigentlich das ganze Jahr leben sollte, sondern auf erlaubte Genüsse zu verzichten.

    3. Daß es im Vaterunser nicht heißt „unsere tägliche Droge gibt uns heute“, heißt nicht, daß man keine nehmen soll. Das fällt vielmehr in gewissem Sinn unter „Brot“ hinein – halt das, was man so zum Leben braucht, im Sinne der weiteren Bedeutung von „braucht“, wie sie der hl. Thomas so nett unterscheidet (siehe dazu S.th. II/II 141 VI ad 2).

    4. „Egoismus“ ist per definitionem unerlaubte Selbstliebe. Selbstliebe an sich ist nicht falsch. Gewiß nimmt man Drogen aus Selbstliebe (mit Ausnahmen, wie beim Arzt, der nach der Nachtwache einen großen starken Kaffee trinkt, weil er noch Dienst hat, mal ausgenommen). Wer sagt, sie sei Egoismus, muß dafür begründen, daß es *falsch* ist, sie zu nehmen – hier beißt sich die argumentative Katze in den Schwanz.

    5. Der Kirche und ihre Moral (d. h. die eigentlich naturrechtliche Moral, aber vereinfachen wir mal) waren die heute so präsenten *gesundheitlichen* Folgen vergleichsweise gleichgültig. Der entscheidende Punkt für die Moral ist vielmehr ganz abstrakt: Wenn der Mensch ein vernünftiges Wesen ist und wenn er das auch sein soll, dann ist es verwerflich, sich den Verstand wegzusaufen; zumal in solchem Zustand sehr häufig auch (objektive) Sünden begangen werden, für die man sich nüchtern schämen würde. *Das* ist das Problem mit den Drogen aus der Sicht der Moral. Sich-Anheitern ist keins.

    (Was auch der Grund sein dürfte, warum die Amerikaner, wenigstens bis vor ein paar Jahren, mit dem Tabak viel weniger Problem hatten wie mit dem Alkohol. Beim Tabak ist mir von nachteiligen geistigen, !, Folgen gar nichts bekannt; Alkohol kann immerhin hierzu mißbraucht werden.)

    Und hier scheint es doch einen Unterschied zu geben zwischen dem Alkohol, bei dem der Rausch (in diesem Vollsinn) dann doch kaum vorkommen dürfte, und dem Cannabis, das genau zu einem solchen Zweck geraucht wird.

    Beer does more, than Milton can,
    to justify God’s ways to Man.

    • Hey Imrahil, danke für Deine weiterführenden Anmerkungen! Tut mir leid, wenn Du das Gefühl hattest, ich wolle jemandem was verbieten – meine Intention war es nur, mich selbst zu fragen: „Warum brauch ich das Zeug eigentlich?“ Und da ich nun mal keine illegalen Drogen nehme, musste ich diese Selbstanalyse bei den legalen Alltagsdrogen beginnen.

      Sinn und Zweck der Fastenzeit ist es meiner Ansicht nach, die Beziehung zu Gott in den Vordergrund zu stellen. Und das ist schon etwas, was man auch das ganze Jahr über tun sollte/könnte – aber, na ja, weißt eh … Beziehung zu Gott kann man aber natürlich auch mit einem Kaffee oder Bier in der Hand haben, ganz klar. Stört dann halt beim Hände zum Gebet falten und sorgt für komische Blicke in der Kirche 😉

      Was Deine Überlegungen zu Selbstliebe, Egoismus und Drogen angeht, kann ich nicht zustimmen. Zunächst einmal ist Egoismus nicht „unerlaubte“, sondern „entgrenzte“ Selbstliebe, d.h. die eigenen Grenzen und die der anderen überschreitende. Man wird übergriffig gegen sich selbst und andere. Deinen Körper schädigst Du durch jede Droge, andere durch die Auswirkungen. Der Arzt in Deinem Beispiel mag es in seiner Abwägung gut meinen, aber wenn er mit 50 einen Herzinfarkt wegen zu hoher Arbeitsbelastung und Koffeinmissbrauch bekommt, ist das auch nicht Sinn der Sache. Besser wäre es, die Arbeit anders zu organisieren, denn dass der gute Mann nicht zum schlafen kommt liegt an ökonomischen Zwängen seines Arbeitgebers, nicht an wirklicher Dringlichkeit.

      Bei der Kirchenmoral kann ich Dir schon wieder mehr folgen. Warum „Sich-Anheitern“ (oder auch Sich-Aufputschen) allerdings moralisch ein geringeres Problem als der Vollrausch darstellt, erschließt sich mir nicht so ganz. Beides schädigt den Körper (in verschiedenem Umfang) und beides beeinflusst die (natürliche) Arbeit meines Verstandes/Körpers. Alles andere, also das Verhalten, ist von Person zu Person unterschiedlich – und das übrigens auch bei Cannabis. Das raucht bei weitem nicht jeder mit dem Ziel „Vollrausch“, auch da gibt es „Entspannungsraucher“, also alles nicht so einfach.

      Und zum Thema „geistige Folgen“ (oder meintest Du „geistlich“?) des Tabakkonsums noch eine Anmerkung: Körperliche Gesundheit ist das eine, das andere ist die formale Wirkung einer Handlung auf den Menschen. Gerade beim Tabak ist die psychische Abhängigkeit weit größer als die körperliche. Das würde ich geistig und geistlich nicht unterschätzen …

      Anyway – Merci für Deinen Input! Sehr inspirierend!

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