Der Rabe ist die Botschaft – wie realistisch ist „Game of Thrones“?

„Game of Thrones“ (GoT), eine der mitreißendsten Fernsehserien der letzten Jahre, schickt uns in eine mittelalterliche Fantasywelt. Charaktere und Welt sind derart gut beschrieben, dass sich auch Historiker und Politikwissenschaftler mit GoT und der Romanvorlage „A Song of Ice and Fire“ beschäftigen. Großes Lob erhielt vor allem die „realistische“ Darstellung von Machtpolitik, Kriegsführung und dem täglichen Leben der Menschen. „Wie das echte Mittelalter“ sei diese Serie und unterscheide sich damit von „romantischeren“ Fantasy-Stoffen wie J.R.R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“. Man hört Aussagen wie „Frodo würde in Westeros keine 5 Minuten überleben“. Das klingt wie: „Wacht auf, Kinder, die Märchenstunde ist vorbei, jetzt kommt das harte Leben“! So ein Gefühl mag den Zuschauer der Serie tatsächlich überkommen, denn schließlich sterben die Hauptfiguren wie die Fliegen. Aber ich behaupte: „Game of Thrones“ ist historisch ungenauer und weniger realistisch als „Der Herr der Ringe“. Leicht erkennbar wird das, wenn man sich der Serie kommunikationswissenschaftlich nähert und die in Game of Thrones vorkommenden Medien analysiert.

game of thrones Götterdämmerung

„Game of Thrones“, die Götterdämmerungsgeschichte der Moderne.

Mediengeschichte ist Menschheitsgeschichte. Jede Entwicklungsstufe der Zivilisation wurde von neuen Medien begleitet. Die entscheidendsten Entwicklungen auf diesem Weg waren dabei:

1. Die Schrift.
Durch sie konnten erstmals Geschichten nicht-mündlich überliefert werden. Die frühe Schrift war allerdings noch sehr konkret, d.h. es waren eher gemalte Szenen (Hieroglyphen), die noch viel von der „Magie“ der mündlichen Überlieferung enthielten. Komplexere Zeichenfolgen, wie z.B. die chinesische Schrift, machten es aber bereits möglich, mehrere Symbole aneinanderzureihen und somit jeden Sachverhalt ausreichend genau darzustellen.

2. Das Alphabet.
A, B und C sind abstrakte Zeichen, die nurmehr einzelne Laute symbolisieren. Durch sie wurde es möglich, komplexe Sachverhalte in einer vorher undenkbaren Präzision auszudrücken. Das Aufkommen dieser Technologie fällt mit der ersten Hochphase abendländischer Philosophie zusammen: Platon, Aristoteles und Konsorten konnten nur deshalb so präzise formulieren und dies auch überliefern, weil ihnen das von den Phöniziern übernommene Alphabet zur Verfügung stand. Noch Sokrates fällt in die Vorzeit dieser Technologie: Er lehrte nur mündlich und überließ es seinem Schüler Platon, seine Gedanken in diesem neumodischen Zeug festzuhalten.

3. Der Buchdruck.
Bis ins späte Mittelalter war all das eine Sache für Eliten. Nur wenige konnten schreiben und lesen und jedes Schriftstück musste von Hand angefertigt werden. Der Buchdruck beendete das Zeitalter der Manuskripte (lat. manus = Hand, lat. scribere = schreiben) und leitete eine Zeit des „copy and paste“ ein: Große Massen an Schriftstücken wurden gedruckt, das Monopol der Lehrer wurde gebrochen und immer mehr Menschen lernten Lesen und Schreiben. Durch den Buchdruck wurde die Geschwindigkeit der Kommunikation enorm erhöht. Er leitete außerdem das Zeitalter der Renaissance (= Erneuerung) ein, weil antike Schriften nun in großer Zahl vervielfältigt und in viele Sprachen übersetzt wurden. Dadurch kam es einerseits zu einem „Revival“ antiken Gedankenguts, andererseits zu einer vorher unbekannten Form des Nationalismus. Denn die bisher vorherrschenden „internationalen“ Sprachen Latein und Griechisch wurden nun im großen Stil von den auch Nicht-Eliten verständlichen Volkssprachen ersetzt.

4. Die elektronischen Medien.
All die oben genannten Technologien haben eines gemeinsam: Sie haben das Lernen und Kommunizieren des Menschen immer mehr auf nur einen einzigen Sinn reduziert: Das Auge. Während in einer primitiven Stammesgesellschaft jeder Mensch durch’s sehen, hören, fühlen, schmecken und gestikulieren lernt, ist der moderne Mensch nur auf sein Buch angewiesen. Durch das Auge gerät die Information ins Gehirn – die anderen Sinne sind untätig. Diese Art des Lernens machte erst den „Spezialisten“ und den „Gelehrten“ des 18. und 19. Jahrhunderts möglich und mit diesen Typen entwickelte sich die Methode der Erfindung. Die elektronischen Medien Radio, Fernsehen und heutzutage das Internet brachen den engen Erfahrungsraum des Auges wieder auf und der Mensch lernt seitdem wieder ganzheitlicher. Andererseits wird er damit emotional wieder mehr zum steinzeitlichen „Stammesmenschen“, was der Kommentarbereich bei Youtube und Facebook anschaulich darstellt.

So weit einmal der nötige Background, jetzt zur konkreten Analyse von „Game of Thrones“ und seiner Medien.

I. In welcher Epoche spielt die Serie?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Der Autor George R. R. Martin hat die Handlung an die englischen „Rosenkriege“ angelehnt, die von 1455 bis 1485 tobten. Das wäre sehr spätes Spätmittelalter kurz vor Beginn der Renaissance. Allerdings deuten die meisten Technologien der Serie darauf hin, dass die Zivilisationen auf dem Kontinent der Haupthandlung (Westeros) noch im Hochmittelalter feststecken: Das Rittertum und Feudalwesen ist in voller Blüte, es finden regelmäßig Turniere statt. Die Belagerungswaffen sind noch Katapulte statt Kanonen, Bogen und Armbrust sind die gebräuchlichen Schusswaffen. Keine Spur also vom bereits im 14. Jahrhundert gebräuchlichen Schwarzpulver. Lediglich „Wildfire“, also eine etwas aufgepeppte Version des bereits in der Antike bekannten „Griechischen Feuers“, ist bekannt und gefürchtet. Kommunikation ist kein Problem, egal ob grimmiger Nordmann oder heißblütiger Südländer: Man versteht sich. Das deutet auf eine gemeinsame Sprache zumindest unter den Eliten hin. Und bei allem Gezänk: Nationen in unserem Sinne kennt Westeros nicht. Volk, Sprache und Gebiet sind zweitrangig, wichtig ist allein die Zugehörigkeit zum Lehnsherrn und seiner Familie.

II. Medien im Hochmittelalter.
Wenn sich Westeros im Hochmittelalter befindet, sind die vorherrschenden „Medien“ einer kleinen Elite vorbehalten: Manuskripte finden sich vor allem in Klöstern und einigen wenigen Universitäten. Adlige Mönche und Gelehrte tauschen sich persönlich und durch berittene Boten aus und bewahren in ihrer Kammer das Wissen, indem sie es handschriftlich kopieren. Der Wissensaustausch geschieht dadurch extrem langsam und – jetzt wird es entscheidend: „Medien“, wie wir sie heute kennen gibt es noch nicht. Wissen wird noch ausschließlich persönlich gelehrt, von Person zu Person weitergegeben. Das hat zur Folge, dass wir es noch nicht mit dem heute üblichen schriftlichen Diskurs und der klaren Spezialisierung der Berufsstände, sondern mit einer rein mündlichen Überlieferung zu tun haben, die durch die Manuskripte nur „Gedächtnisstützen“ erhält. Den letzten Satz bitte noch ein paar Mal lesen, er ist so kompliziert wie die Sache selbst. 😉 Entscheidend ist: Informationen wurden im Hochmittelalter nicht medial sondern persönlich übermittelt. Und das hatte direkte Auswirkungen auf den Menschen und die Gesellschaft.

III. Das Menschenbild des Mittelalters: Stand und Rolle.
Die erste Auswirkung dieser direkten Informationsweitergabe ist es, dass jeder Stand unter sich bleibt: Adlige diskutierten mit Adligen, der Rest konnte ohnehin nicht lesen und um die Ecke denken. Durch die persönliche Lehre von Mensch zu Mensch waren alle Sinne im Lernprozess eingebunden, man suchte daher in allen Bereichen umfassende Welterklärungsmodelle zu erstellen. So ging es überspitzt formuliert zum Beispiel in der Medizin nicht nur darum, einen Schnupfen zu heilen, sondern im Schnupfen eine Störung zwischen Mensch und Gott zu erkennen: Theologie und Medizin verknüpft. Ähnlich ganzheitlich wurde die Rolle des Menschen in der Gesellschaft gesehen: Er war kein Facharbeiter und Spezialist, sondern spielte eine Rolle. Besonders deutlich wird das im Fall des Königs: Lange Abhandlungen existieren über die Unterscheidung zwischen dem (ewigen) Königtum als Rolle und dem (sterblichen) Menschen, der sie „spielt“. Der Maßstab des Mittelalters war die Ewigkeit. Darum erscheint uns diese Epoche heute oft so irrational. Denn unser Maßstab, der Maßstab des modernen Menschen ist allein die materielle Welt, das „Hier und Heute“ und wie wir es möglichst komfortabel gestalten. Dieses Denken war dem Mittelalter fremd: Man lebte für die Ewigkeit und war überzeugt, dass man sein Seelenheil am besten sicherte, indem man seiner Rolle als Bauer, Handwerker, Ritter, Burgfräulein oder König folgte.

IV. Realismus-Check: „Game of Thrones“ vs. „Herr der Ringe“:
Warum „Game of Thrones“ auf uns moderne Menschen so „realistisch“ wirkt, liegt daran, dass sich die Charaktere NICHT so verhalten wie eben beschrieben. Es sind vielmehr moderne Menschen wie wir, die ihre Welt lediglich mit mittelalterlichen Instrumenten gestalten. Spezialisten wie den reinen Spion Varys, den reinen Haudruff Sandor Clegane, den berechnenden Machiavelli Tywin Lannister oder auch den Schmied Gendry gab es im Mittelalter so nicht. Es sind Figuren der Renaissance, Kinder des Buchdruck-Zeitalters. Auch die auf den ersten Blick „ritterlichsten“ Figuren der Serie – die Starks – sind bei genauem Hinsehen eine Bande berechnender Verräter. Dass sie „ritterlich“ wirken, liegt einzig daran, dass sie den Schritt vom Mittelalter in die Renaissance erst kürzlich getan haben, während die Lannisters – sinnbildlich gesprochen – schon kurz vor der Industrialisierung stehen. Der Reiz der Serie ist ein Aufeinanderprallen von Mittelalter und Renaissance: Moderne Menschen kämpfen hier um die Vorherrschaft. Ganz anders im „Herrn der Ringe“: Hier ist jeder Charakter an seinem Platz, erfüllt seine Rolle: Egal ob Gandalf, der Zauberer, Frodo, der Hobbit, Aragorn, der Mensch und (versteckte) König, ja sogar der „dunkle Herrscher“ – sie alle erfüllen ihre Rolle im kosmischen Weltplan der Schöpfung. So einen Plan gibt es bei „Game of Thrones“ nicht: Jeder kämpft für sich selbst, für seine Sache. Die interessantesten Akteure der Serie, Tyrion, Littlefinger und Ayra sind Individualisten – in die Welt geworfene moderne Menschen, die das Beste oder Schlechteste daraus machen wollen.

Fazit im Realismus-Check: „Der Herr der Ringe“ spiegelt mittelalterliches Lebensgefühl wider, „Game of Thrones“ handelt von kostümierten modernen Menschen.

V. Der letzte Beweis: Die Raben.
Am Anfang hatte ich versprochen, „Game of Thrones“ medial zu analysieren. Bis jetzt habe ich das Hauptmedium der Serie aber noch gar nicht erwähnt: Die Raben. Sie sind die Telegrammboten von Westeros, die Nachrichten flügelschnell von A nach B bringen. Im Verlauf der Handlung werden sie durch weitere, noch schnellere Kommunikationsmittel ergänzt. Ohne die Raben würde die Handlung nicht funktionieren, denn moderne Menschen brauchen schnelle Kommunikationsmittel, um auf dem Laufenden zu bleiben. Information ist die Waffe der Moderne und die Helden in Westeros sind durch Raben und Magie bereits beinahe in der Geschwindigkeit der vierten medialen Entwicklungsepoche (Die elektronischen Medien) angelangt. Und das, obwohl ihre Zivilisation es noch nicht einmal zum Buchdruck (Epoche 3) gebracht hat.

„Das Medium ist die Botschaft“

Dieser Satz stammt vom Kommunikationswissenschaftler Marschall McLuhan. Er meinte damit unter anderem: Die Kommunikationsmittel prägen den Menschen und geben Aufschluss über seine Entwicklung. Auf „Game of Thrones“ bezogen kann man also sagen: „Der Rabe ist die Botschaft.“ Er weißt darauf hin, dass das Mittelalter in Westeros gar nicht so mittelalterlich ist. Wir sehen vielmehr ein modernes Bild des Mittelalters – und das ist wohl auch ein Grund dafür, warum die Serie erfolgreicher ist als die realistischeren Historienschinken.

2 Gedanken zu „Der Rabe ist die Botschaft – wie realistisch ist „Game of Thrones“?

  1. Vielen Dank für Ihre ausführliche Analyse. Ich persönlich bin weder mit dem „Herr der Ringe“ noch mit „Game of Thrones“ sonderlich bewandert, da mich das Fantasy-Genre nicht sonderlich interessiert. Dennoch hätte ich einige Nachfragen zu Ihrem Text:

    Meinen Sie, dass die beiden ausgewählten Romane den Anspruch verfolgen, das Leben im Mittelalter auch nur ansatzweise korrekt oder „realistisch“ abzubilden? Bei Szenarien, in denen es von Untoten, Drachen und sonstigen Kreaturen nur so wimmelt, kann man meiner Ansicht nach keine historisch richtige Darstellung erwarten. Eine zeitliche Verortung in eine tatsächliche historische Epoche scheint mir bei keinem der beiden Werke sachlich möglich und inhaltlich nötig zu sein. Technisch mögen sich die Bewohner im Mittelalter befinden, gesellschaftlich mag das Agieren eher dem Gebahren der Frühen Neuzeit entsprechen. Im Fantasy-Bereich ist das durchaus statthaft. Und selbst in vermeitlich historischen Romanen à la „Wanderhure“ legt der geneigte Leser doch nur geringen Wert auf die tatsächlichen zeitlichen Gegebenheiten.

    „Nationen in unserem Sinne“ gab es auch im Hochmittelalter nicht. Wie ich hier http://de.eisundfeuer.wikia.com/wiki/Westeros gerade nachgelesen habe, besteht Westeros aus den sieben Königslanden, die nach kriegerischen Auseinandersetzungen zu einem Königreich vereinigt wurden. Dennoch berufen sich die Bewohner der ehemaligen Königsländer auf eine eigenständige Kultur und Tradition, zudem wird in bestimmten Gebieten regionalen Gottheiten gehuldigt. Also ist die Gesellschaft doch etwas ausdifferenzierter und komplexer als in Ihrer Darstellung.

    Ist es wirklich so, dass im Mittelalter alles Handeln nur auf das Jenseits ausgerichtet war? Warum soll es im Mittelalter keine Spezialisierung gegeben haben? Denken Sie an die Zünfte, ein hochmittelalterlicher Zusammenschluss von spezialisierten Handwerkern zum Zweck der irdischen Interessenvertretung.

    Den Beleg für Ihre Behauptung, dass „Game of Thrones“ historisch ungenauer und weniger realistisch als „Der Herr der Ringe“ sei, bleiben Sie schuldig, schließlich beschäftigen Sie sich in Ihrer Analyse nahezu ausschließlich mit dem Werk von George R. R. Martin und berufen sich nur knapp darauf, dass die Protagonisten aus Herr der Ringe „ihren kosmischen Weltenplan“ erfüllen würden.

    Auch das scheint mir eher fragwürdig. Der gemeine Hobbit an sich ist doch eher an weltlichen Dingen wie gutem Essen und dem Auenland interessiert. Und wer sagt denn, dass die Helden bei Game of Thrones in ihren Handlungen nicht dem Determinismus eines kosmischen Weltenplans unterliegen. So lange das Ende der Serie noch offen ist, kann man sich da kein abschließendes Urteil erlauben.

    Zu guter Letzt und zum eigentlichen Grund, warum ich so einen ausführlichen Kommentar schreibe: Tauben, die weniger mysteriösen Artgenossen der Raben, wurden schon in der Antike zur Übermittlung von Nachrichten genutzt. War die Menschheit Ihrer Ansicht nach also damals schon in der vierten medialen Entwicklungsepoche angelangt?

    • Danke für die vielen guten Gedanken! Vorab gesagt möchte ich die Autoren natürlich nicht dafür „schelten“, dass sie das Mittelalter nicht „korrekt“ wiedergegeben hätten – das wäre im Fantasybereich wirklich unangebracht. Allerdings haben sowohl Tolkien als auch Martin sehr wohl den Anspruch, nicht einfach nur eine Fantasiegeschichte zu erzählen. Beide entwickeln eine komplexe Welt komplett mit Schöpfungsgeschichte, Göttern und Theologie, Sprachen, Kulturen, Völkern und Nationen. Tolkien betonte, dass „Mittelerde“ nur ein altmodischer Name für unsere Welt sei, er schuf Sprachen und eine Heilsgeschichte. Für ihn war der „Herr der Ringe“ durchaus eine Fabel, die Lehren und Verhaltensweisen enthielt, die auch für unsere reale Welt gelten. Ebenso hat Martin die Haupthandlung in Westeros an eine „reale“ Geschichte angelehnt, nämlich die „Rosenkriege“ zwischen den englischen Häusern Lancaster und York, die er mit „Lannister“ und „Stark“ sogar lautmalerisch weiter gibt. Wer sich so deutlich auf die Geschichte bezieht, darf auch an ihr gemessen werden.

      Mir ging es in dem Text aber weniger um eine historische als eine anthropologische Analyse: Welches Menschenbild wird in den Romanen geprägt? Und hier ist bei Tolkien ein Vor-Neuzeitliches Menschenbild zu finden, während Martins Charaktere moderne Menschen sind. Kernpunkt hier ist, dass die Charaktere im Herrn der Ringe „Rollen“ spielen statt Spezialisten zu sein. Sie bewegen sich in einer Heilsgeschichte, die bei Martin fehlt. In „Game of thrones“ ist Gott (oder die Götter) tot oder er (bzw. sie) schlafen. Bei Tolkien handeln sie durch ihre Geschöpfe (am deutlichsten bei Gandalf, Sauron, Tom Bombadil und Elrond sichtbar).

      Nun möchte ich noch auf einige Ihrer hochinteressanten Argumente genauer eingehen:

      1. Dass die Gesellschaft im Mittelalter komplex gewesen ist und dies auch in Game of thrones ist, bestreite ich nicht. Ich sage nur, dass es keine Nationalstaaten gab. Das ist insofern ein entscheidender Unterschied, als dass es modernen Menschen das Handeln viel schwieriger macht – im Roman ist das auch die Crux vieler Charaktere, denn hätte z.B. Eddard Stark einen Nationalstaat „Nordland“ hinter sich gehabt statt ein auf seine Person eingeschworenes Feudalsystem, wäre sein Tod längst kein so katastrophales Ereignis für seine Familie und Westeros gewesen als es dann der Fall war: Durch das personale System des Mittelalters war es ihm nicht möglich, seine Werte ohne Kopfverlust einzusetzen. Dann hätte ihn niemand nach Kings Landing zitieren können und er wäre nicht das Opfer des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ gewesen, das als Vorbild für die Regierungsform von Westeros lieferte.

      2. Es gab im Mittelalter eine andere Spezialisierung als heutzutage und ich bin dankbar, dass Sie in diesem Zusammenhang die Zünfte ansprechen: Selbstverständlich gab es Arbeitsteilung, aber anthropologisch gesehen übte z.B. ein Schmied im Mittelalter nicht einfach nur ein Handwerk aus, sondern er WAR Schmied mit seiner ganzen Person. Er übte die „Rolle“ des Schmieds aus und diese Rolle wurde in seiner Zunft gesellschaftlich zementiert. Ein Jobwechsel war undenkbar – ganz anders als später in der Renaissance. Warum war das so? Weil das irdische Handeln an das überirdische geknüpft war und er seine „Berufung“ Schmied verraten hätte, wenn er z.B. zum Schuster umgeschult hätte. Solche Leute gab es und sie waren Ausgestoßene. Der große Wandel in der Renaissance war eben der, dass die „Berufung“, die „Rolle“ und damit die Kopplung ans Jenseits aufgelöst wurde. „Emporkömmlinge“ wie den Söldner Machiavelli der zum Fürsten wurde oder internationale Händler wie die Fugger, die die Monopole der Kleinstaaten und Städte brachen waren das Merkmal der Renaissance. Sie läuteten den Niedergang der Zünfte ein und schufen den wahren Spezialisten: Den Arbeiter, der einen Job tut, der ihm aufgetragen wurde, anstatt sich um seine „Berufung“ zu scheren. Es ist ein immenser anthropologischer Unterschied.

      3. Den Beleg, dass Game of Thrones historisch ungenauer als der „Herr der Ringe“ ist, bleibe ich auch weiterhin schuldig, weil ich eben keine historische Analyse anstrebe sondern eine anthropologisch-kommunikationswissenschaftliche. Einen Beleg dafür, dass der „Herr der Ringe“ aber eine mittelalterlichere Geschichte ist als „Game of Thrones“ will ich aber liefern: Die Charaktere bei Tolkien sterben nur aus zwei Gründen: a) weil sie ihre Berufung verraten haben (z.B. Boromir, Saruman, Thorin) oder b) weil sie ihre Berufung erfüllt haben (Gollum, Gandalf (steht wieder auf). Im „Herrn der Ringe“ stirbt niemand nur aus eigenen Fehlern oder einem „blöden Zufall“, wie bei Game of Thrones andauernd. Diese Welt erscheint uns modernen Menschen darum „realistischer“, weil wir nicht mehr an Dinge wie „Berufung“ oder „Vorsehung“ glauben. Das war es, was ich mit „historisch ungenau“ meinte: Die Charaktere bei „Game of Thrones“ wissen, dass sie jederzeit sterben können, wenn sie auch nur einen Fehler machen. Den Helden beim „Herrn der Ringe“ ist das kaum wichtig, da sie sich in einen höheren Sinn eingebunden fühlen. Der „gemeine Hobbit“, wie Sie richtig feststellen, ist kein Übermensch. Aber er wird in einen Weltenrettungsplan geworfen, der bei Game of Thrones fehlt. Doch hier haben Sie Recht: Warten wir das Ende ab, vielleicht muss ich mich da revidieren!

      4. Tauben wurden zwar ähnlich wie die Raben genutzt, aber nicht in dem Ausmaß wie dies im Roman der Fall ist. Man war sich der hohen Fehler/Fressfeind/Abschussquote bewusst und deshalb vorsichtig mit wichtigen Nachrichten auf diesem Weg. Außerdem wurden sie nur auf verhältnismäßig kurzen Distanzen genutzt und nicht von einem Ende des Kontinents zum nächsten. Der entscheidende Unterschied ist: Der Rabe wird im Roman als Telefonersatz genutzt: Schnell und beinahe unmittelbar erreicht die Botschaft ihren Empfänger. Der Rabe ist somit eine „romantisierte Taube“ und macht es möglich, dass sich die Charaktere in einem schnellen „Informationsfeld“ bewegen. Dass es dabei auch zu Irrtümern und Fehlinformationen kommt, ändert nichts daran, dass die Kommunikation in GoT unmittelalterlich schnell vonstatten geht. Vor allem, wenn man noch „neuere“ Medien wie die „grünen Träume“ u.ä. bedenkt.

      Abschließend aber nochmals Danke für die guten Gedanken und natürlich kann ich mich auch komplett irren mit meiner Analyse 😉

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