Was bringen Kommentare in sozialen Medien?

Was bringen Kommentare in sozialen Medien? Um diese Frage zu beantworten, muss ich ein bisschen ausholen:

Es ist nun schon eine ganze Weile her, dass das Radio erfunden wurde. Doch als es noch ein brandneues Medium war, damals in der Weimarer Republik, fanden sich bereits Kritiker, die es besser machen wollten. Berthold Brecht war einer dieser Kritiker. Ihm war das Radio zu einseitig: Immer spricht nur einer und alle anderen hören zu. Brecht wünschte sich in seiner „Radiotheorie“, dass jeder Empfänger auch ein Sender ist. Würde das gelingen, hätte man den „denkbar großartigsten Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem“.

Nun scheint diese Vision im Web 2.0 erfüllt zu sein. Jeder kann heute Feedback geben, Kommentare in sozialen Medien schreiben und nach Herzenslust diskutieren. Aber ist das deswegen tatsächlich Brechts „großartiger Kommunikationsapparat“? Ich denke, das würde er gerade als Antikapitalist anders sehen. Und auch ich als freiheitlicher Demokrat sehe das anders, denn Wirkung und Nutzen sind in den sozialen Medien sehr ungleich verteilt.

Wirkung.

Immer noch gibt es zwei unterschiedliche Machtebenen in den neuen Medien: Diejenigen, die – idealerweise mit einer starken Marke im Rücken – Artikel, Videos und Bilder posten und diejenigen, die lediglich kommentieren, bewerten, diskutieren. Einen Artikel und ein Posting zu erstellen, geht relativ schnell. Aber wie viel Zeit die Menschheit anschließend mit Kommentaren und Diskussionen verbringt, das gehört schon in die Kategorie „volkswirtschaftlicher Schaden“. Denn was hat die größere Wirkung: Ein SPIEGEL-Artikel oder die Diskussion darüber? Ganz klar: Der SPIEGEL-Artikel wirkt, die Diskussion darunter ist für die Mülltonne – nicht immer inhaltlich, aber auf jeden Fall von der Wirkung her gesehen. Das liest sich doch kein Mensch durch und selbst wenn einmal Diskussionen entstehen, bestehen diese nicht aus Argumenten sondern aus Meinungsblasen. Der eine Stamm im „Global Village“ zeigt dem anderen seine Kriegsbemalung – verstehen will man einander nicht. Und man soll es ja auch gar nicht, sonst würde den sozialen Medien schnell die Kontroversen ausgehen und damit ihr „Treibstoff“. Es ist ein bisschen wie im Monty-Python-Sketch „The Argument Clinic“, in dem Diskussionen so ablaufen, dass einfach immer nur das Gegenteil von dem behauptet wird, was der andere sagt. Eine solche Diskussion ist nicht befriedigend, denn sie führt zu nichts. Im besten Fall kann man darüber lachen, aber eben nur, weil alles so nutzlos war.

Kommentare in sozialen Medien.

So laufen Kommentare in den sozialen Medien ab: Man steht sich gegenüber, erst schießt der eine, dann der andere. Am Ende sind beide tot (bzw. auch nicht klüger).

Nutzen.

Wenn die Kommentare in sozialen Medien also inhaltlich irrelevant und in ihrer Masse derart sinnlos sind, warum kommentiert man dann überhaupt? Entweder, weil man diese banale Tatsache verkennt oder weil man sich selbst und seine Meinung halt wenigstens irgendwo lesen möchte. Dass diese Meinung die meisten anderen überhaupt nicht interessiert, ist einem egal Und so schreiben alle fleißig ihre Kommentare und glauben, damit einen ungeheuren Beitrag zur öffentlichen Debatte geleistet zu haben. Den einzigen wirklichen Nutzen haben die Kommentare aber für die Medienplattformen. Die Anzahl der Reaktionen auf einen Beitrag, nicht die inhaltliche Qualität, ist die Währung, die den Wert des Beitrags bestimmt. Der fleißige Kommentierer hat also immerhin bei der Marktforschung geholfen. Brav!

Lösung?

Weder der Antikapitalist Bertolt Brecht, noch der Demokrat von heute können also damit zufrieden sein, dass unsere Diskurse nur noch für die Marktforschung taugen. Meine persönliche Lösung ist zweigeteilt:

  1. Mehr posten, weniger kommentieren.
  2. Diskussionen persönlich führen.

Mit dem zweiten Punkt meine ich, dass ich mein Gegenüber auffordere, mit mir in einen persönlichen Mail-Dialog abseits der sozialen Medien zu treten. Das bringt zwei Vorteile mit sich: Zum einen bekommen die Marktforscher kein Futter mehr und zum anderen wird die öffentliche Diskussion dadurch privat, zielführend und man spricht viel gesitteter miteinander, als wenn man sich wie vorher vor aller Welt ankeift.

Funktioniert super, einfach mal ausprobieren!

Das Hypnose-Smartphone des Narziss

Nein, ich bin kein esoterischer Angsthase. Und ja, ich nutze mein Smartphone gern und oft. Aber ich bin mir bewusst, wie es wirkt: Dein Smartphone hypnotisiert Dich. Das ist eine Erkenntnis, die vielen Nutzern verborgen bleibt.

Kennt Ihr den Mythos von Narziss? Der schöne Jüngling aus der griechischen Sagenwelt, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt und zugrunde geht, weil er den Blick nicht mehr abwenden kann? Wenn nein, könnt Ihr ihn hier nachlesen. Es ist die Geschichte von einem, der am Ende vor lauter sich-selbst-anstarren nichts mehr gebacken kriegt.

Der Medienforscher Marshall McLuhan hat diesen Mythos in den 60er-Jahren auf die Neuen Medien übertragen: Der moderne Mensch starrt den Fernsehbildschirm an wie Narziss sein Spiegelbild im Teich und wird dadurch in seinem täglichen Handeln gelähmt. McLuhan bleibt bei diesem recht offensichtlichen Vergleich aber nicht stehen, sondern analysiert den Mythos und damit den modernen Mediennutzer noch tiefer:

Narziss, so behauptet er, konnte sich nur deshalb in sein Spiegelbild verlieben, weil er nicht bemerkte, dass es sich überhaupt um ein Spiegelbild handelte. Narziss ging nach dieser Deutung also nicht zugrunde weil er zu Selbstverliebt war, sondern weil ihm die Erkenntnis darüber fehlte, was mit ihm geschah. Er dachte: „Boah, ist der hübsch!“ und war fest davon überzeugt, dass „der“ ein anderer war. Narziss tappte damit in einen Denkfehler, aus dem er nicht mehr entkommen konnte.

McLuhan weist darauf hin, dass der Name Narziss vom griechischen Wort „narcosis“, also „Betäubung“ stamme. Der narkotisierte Mensch, der sich selbst betrachtet, ohne es zu merken. Neue Medien, so McLuhan, seien „Erweiterungen des Menschen“, Werkzeuge des Bewusstseins. Mit dem Smartphone betrachten wir alle Facetten unseres Menschseins gleichzeitig: Soziale Kontakte, Kunst, Nachrichten. Das nimmt uns ein, das ist ein Spiegel unseres Selbst. Wer das nicht versteht, hockt in der Blockadefalle.

So weit der katholische Konvertit und Medienguru McLuhan. Zurück zu meinem eigenen Smartphone und prüfen wir mal, ob er recht hat: Hypnose, so sagt McLuhan, setzt die Reduktion auf einen oder wenige Sinne voraus. Durch diesen Trick werden die restlichen Sinne ausgeschaltet. Der Zahnarzt setzt zum Beispiel Musik ein, damit die Schmerzempfindlichkeit beim Bohren reduziert wird. Schauen wir also mal:

Narziss und sein Hypnose-Smartphone. Das Smartphone hypnotisiert, ist ein Spiegel des Menschseins

Es tut so unschuldig, aber es hypnotisiert seinen Nutzer: Das veraltete Smartphone des Autors.

Mit dem Kopfhörer stöpsle ich mich an mein Smartphone an, sobald ich in die S-Bahn einsteige. Mit Musik blende ich meine Umgebung aus. Akustische Narkose, Check! Ich verfolge die Ereignisse bei Facebook und Twitter, browse durch Nachrichten, Katzenbilder und Statusupdates, schreibe und lese Nachrichten auf WhatsApp, Facebook und Konsorten – Visuelle Narkose, Check! Wenn mich in diesem Zustand jemand anspricht oder gar anrempelt, ist das ziemlich unangenehm, so als ob ich plötzlich vom Schlaf aufgeweckt werde. Nach McLuhan liegt das daran, dass sich meine Konzentration plötzlich wieder auf alle Sinne ausweitet, ich also vom hypnotisierten wieder zum ganzheitlich stimulierten Menschen werde.

So weit, so verwirrend. Was ist also die Moral von der Geschichte? Die Moral ist ein Spruch, den auch schon die alten Griechen kannten: „Erkenne Dich selbst!“ und, so möchte ich hinzufügen: „Erkenne Dich selbst in den Medien, die Du nutzt!“ Sie sind unser Spiegelbild, nicht mehr und nicht weniger. Wenn ich nicht mehr ohne mein Spiegelbild sein kann, bin ich wie Narziss: Ein Mensch in der Falle.

Wie sollte ich mein Smartphone also nutzen? Wie einen Spiegel: Hin und wieder mal reinschauen ist völlig in Ordnung. Im Starren verharren dagegen sollte man vermeiden. Sonst tappt man in die Falle und sieht ganz nebenbei auch nicht mehr allzu intelligent dabei aus.