Nein, ich bin kein esoterischer Angsthase. Und ja, ich nutze mein Smartphone gern und oft. Aber ich bin mir bewusst, wie es wirkt: Dein Smartphone hypnotisiert Dich. Das ist eine Erkenntnis, die vielen Nutzern verborgen bleibt.
Kennt Ihr den Mythos von Narziss? Der schöne Jüngling aus der griechischen Sagenwelt, der sich in sein eigenes Spiegelbild verliebt und zugrunde geht, weil er den Blick nicht mehr abwenden kann? Wenn nein, könnt Ihr ihn hier nachlesen. Es ist die Geschichte von einem, der am Ende vor lauter sich-selbst-anstarren nichts mehr gebacken kriegt.
Der Medienforscher Marshall McLuhan hat diesen Mythos in den 60er-Jahren auf die Neuen Medien übertragen: Der moderne Mensch starrt den Fernsehbildschirm an wie Narziss sein Spiegelbild im Teich und wird dadurch in seinem täglichen Handeln gelähmt. McLuhan bleibt bei diesem recht offensichtlichen Vergleich aber nicht stehen, sondern analysiert den Mythos und damit den modernen Mediennutzer noch tiefer:
Narziss, so behauptet er, konnte sich nur deshalb in sein Spiegelbild verlieben, weil er nicht bemerkte, dass es sich überhaupt um ein Spiegelbild handelte. Narziss ging nach dieser Deutung also nicht zugrunde weil er zu Selbstverliebt war, sondern weil ihm die Erkenntnis darüber fehlte, was mit ihm geschah. Er dachte: „Boah, ist der hübsch!“ und war fest davon überzeugt, dass „der“ ein anderer war. Narziss tappte damit in einen Denkfehler, aus dem er nicht mehr entkommen konnte.
McLuhan weist darauf hin, dass der Name Narziss vom griechischen Wort „narcosis“, also „Betäubung“ stamme. Der narkotisierte Mensch, der sich selbst betrachtet, ohne es zu merken. Neue Medien, so McLuhan, seien „Erweiterungen des Menschen“, Werkzeuge des Bewusstseins. Mit dem Smartphone betrachten wir alle Facetten unseres Menschseins gleichzeitig: Soziale Kontakte, Kunst, Nachrichten. Das nimmt uns ein, das ist ein Spiegel unseres Selbst. Wer das nicht versteht, hockt in der Blockadefalle.
So weit der katholische Konvertit und Medienguru McLuhan. Zurück zu meinem eigenen Smartphone und prüfen wir mal, ob er recht hat: Hypnose, so sagt McLuhan, setzt die Reduktion auf einen oder wenige Sinne voraus. Durch diesen Trick werden die restlichen Sinne ausgeschaltet. Der Zahnarzt setzt zum Beispiel Musik ein, damit die Schmerzempfindlichkeit beim Bohren reduziert wird. Schauen wir also mal:
Mit dem Kopfhörer stöpsle ich mich an mein Smartphone an, sobald ich in die S-Bahn einsteige. Mit Musik blende ich meine Umgebung aus. Akustische Narkose, Check! Ich verfolge die Ereignisse bei Facebook und Twitter, browse durch Nachrichten, Katzenbilder und Statusupdates, schreibe und lese Nachrichten auf WhatsApp, Facebook und Konsorten – Visuelle Narkose, Check! Wenn mich in diesem Zustand jemand anspricht oder gar anrempelt, ist das ziemlich unangenehm, so als ob ich plötzlich vom Schlaf aufgeweckt werde. Nach McLuhan liegt das daran, dass sich meine Konzentration plötzlich wieder auf alle Sinne ausweitet, ich also vom hypnotisierten wieder zum ganzheitlich stimulierten Menschen werde.
So weit, so verwirrend. Was ist also die Moral von der Geschichte? Die Moral ist ein Spruch, den auch schon die alten Griechen kannten: „Erkenne Dich selbst!“ und, so möchte ich hinzufügen: „Erkenne Dich selbst in den Medien, die Du nutzt!“ Sie sind unser Spiegelbild, nicht mehr und nicht weniger. Wenn ich nicht mehr ohne mein Spiegelbild sein kann, bin ich wie Narziss: Ein Mensch in der Falle.
Wie sollte ich mein Smartphone also nutzen? Wie einen Spiegel: Hin und wieder mal reinschauen ist völlig in Ordnung. Im Starren verharren dagegen sollte man vermeiden. Sonst tappt man in die Falle und sieht ganz nebenbei auch nicht mehr allzu intelligent dabei aus.