Das Wesentliche und seine Nebenwirkung

Stell Dir den Moment vor, in dem Du stirbst. Diesen konkreten Moment in der Zukunft, von dem Du mit absoluter Sicherheit weißt, dass es ihn geben wird. Verwende zehn Sekunden darauf, Dir Deinen Tod ganz konkret vorzustellen, danach lies weiter.

Memento mori - Glauben an die Auferstehung

Grabstein in Freiburg

Fertig? Nun, egal, ob Du Dir Dein Ableben eben als schwebenden Übergang in ein anderes Leben oder als reines ausgeknipst-werden vorgestellt hast: Was Du dabei gespürt und gedacht hast, war das Wesentliche: Die Frage nach der menschlichen Existenz und dem Sinn. Du hast Dir den Moment ausgemalt, von dem die christliche Botschaft ausgeht. Christen behaupten nicht weniger, als dass es einmal jemanden gab, der gestorben ist und wieder auferstand. Und das meinen wir wörtlich, das macht unseren Glauben aus. Was über Jahrhunderte hinweg ein Skandal war, ist für die Menschen heute ganz leicht zu verstehen, denn schließlich kennen wir die Wiederauferstehung zur Genüge aus Computerspielen. Aber das hier ist kein Spiel, es ist ernst. Denn durch seine Auferstehung hat Christus – wie der Gamer sagt – den „Skill“ Auferstehung für die gesamte Menschheit freigeschaltet. Keiner muss mehr tot bleiben, es geht weiter. Die Frage, was das konkret heißen soll, ist nicht Thema dieses Texts. Nur so viel: Das Ausbleiben christlicher Zombiehorden ist ein dezenter Hinweis darauf, dass unsere menschlichen Körper nicht zum Recycling gedacht sind. Es ist alles ganz anders.

Die Freischaltung des Skills „Auferstehung“ durch Jesus Christus ist das Wesentliche am christlichen Glauben. 

Gott ist Mensch geworden und hat seine ganze Schöpfung umgekrempelt, um uns aus der Bredouille zu ziehen. Warum das nötig war, auch davon soll ein andermal die Rede sein. Hier nur so viel: Wir waren Schuld. Du, ich, Tante Erna und der süße kleine Kevin tragen Spuren dieser Schuld immer noch in uns. Das ist der christliche Glaube. Tod, Leben, Sünde, Erlösung. Übersinnlich, Irrational, mystisch. Darum geht’s.

Aber worüber reden wir Christen?

Über Meinungshoheit, linke oder rechte Politikfantasien, Homosexualität, Frauenrechte, Kita-Plätze, Elterngeld, Abtreibung, die US-Wahlen, die mörderischen Vollidioten unserer und anderer Religionen. Wir folgen dem Nachrichtenwert: Wenn etwas stinkt, knallt, kracht und idealerweise noch in der Nähe geschieht, ist es berichtenswert. Das ist ein Mediengesetz und das bedeutet, es ist nicht gut und nicht schlecht, sondern, wie der Österreicher sagt, „es is a so“. Ein Naturgesetz, das der Sache innewohnt. Die Kirche folgt diesem Naturgesetz, obwohl es ihr egal sein könnte und müsste. Denn was stinkt, knallt und kracht ist nicht das Wesentliche. Es ist eine Nebenwirkung. Das heißt nicht, dass wir darüber nicht reden dürfen. Es heißt nur, dass wir uns diesen Themen vom Wesentlichen, vom Kern unseres Glaubens her nähern sollten und nicht aus der Überheblichkeit unserer Studier- oder Redaktionsstuben. Das wahre Wissen der Kirche war immer schon erbetet, reine Gnade.

Wir sind noch keine Menschen …

Weil wir nicht mehr beten, werden wir nur noch durch unsere Äußerungen zu den Nebenwirkungen wahrgenommen. Wir schweigen zum Wesentlichen in der Öffentlichkeit. Stattdessen diskutieren wir lang, breit und lieblos über Sozialthemen oder die rechtlichen Implikationen kirchlicher Trägerschaft, erklären aber niemandem mehr, warum die Kirche sich überhaupt sozial engagiert. Nicht aus politischem Interesse oder damit die Leute aus Not unserem Verein beitreten. Sondern weil der Urgrund der Kirche es verlangt. Weil der Gott, der Mensch wurde, von uns verlangt, Mensch zu werden. Daraus folgt: Wir sind noch keine Menschen. Wir sind Sünder, brauchen Erlösung und wenn wir die nicht haben, können wir zehntausend Waisenhäuser gründen und fahren trotzdem zur Hölle. So rum wird ein Schuh draus und wenn wir das verkünden, werden wir verstanden. Aber Sünde und Sühne, Himmel und Hölle, Verdammnis und Erlösung sind abgeschafft.

Die Kirche wird in Deutschland nur noch als Nachklang des Wesentlichen wahrgenommen, als eine Institution gewordene Nebenwirkung der Erlösung.

Darum werden wir nicht mehr verstanden. Wir werden nicht verstanden, weil unsere Pfarreien oft nurmehr zünftige Traditionsvereine mit salbungsvollem Inhalt sind, doch keine brennenden Gebetszellen angehender Mystiker. Ein Symptom davon ist unsere Kirchenarchitektur: Eine gotische Kathedrale atmete noch das Evangelium, an jeder Ecke war sie Architektur gewordene Katechese. Sie strebte zu höherem, spornte den Menschen an, hielt hunderte versteckte Wahrheiten bereit, die es zu entdecken galt. Aus dem Kirchengebäude sollte der Heilige Geist sprechen, doch heute dünsten die grauen Betonwände meist eher akute Depression aus. Wenn das angeblich so hirnlose und leibfeindliche Mittelalter schönere Gotteshäuser hervorgebracht hat als unsere Komfort- und Genussgesellschaft, sollten wir wohl besser selbst wieder etwas hirnloser und leibfeindlicher werden.

Grab aus dem hirnlosen Mittelalter (im Freiburger Dom)

Grab aus dem hirnlosen Mittelalter

Doch Sarkasmus beiseite und zurück zum Kern: Die deutsche Kirche hat in ihrer Kommunikation das Übersinnliche, die Transzendenz inzwischen weitgehend ausgesperrt und thematisiert – wie alle anderen gesellschaftlichen Akteure – vorwiegend das Banale. Jammern hilft da jedoch nicht weiter, darum die konkrete Frage: Wie kann man das ändern? Der berühmte Medientheoretiker Marshall McLuhan gab auf diese Frage die kommunikationswissenschaftlich fundierte Antwort, die Kirche solle „nur noch das Höllenfeuer predigen“. Er meinte damit aber nicht, dass die Pfarrer grimmiger gucken und die Kirche den Leuten Angst machen sollte. Er ging vielmehr davon aus, dass man nicht über das Wesentliche reden kann, ohne dass einen das nackte Grauen packt.

Die Angst kommt automatisch, wenn man ernsthaft über jenseitige Dinge spricht.

Und wer glaubt, das könne man den Menschen nicht zumuten, kennt die Absatzzahlen des Horrorbuch- und Computerspielmarktes nicht. Die Menschen sehnen sich danach, dass über Transzendenz gesprochen wird. Wer, wenn nicht die Kirche kann den Mut und die Zuversicht haben, die richtig beängstigenden Fragen zu stellen? Die traurige Antwort: Stephen King, J.K. Rowling oder David Wong.

Transzendente Erlebnisse machen die Menschen heute nicht mehr in der Kirche, sondern in Computerspielen oder bei der Lektüre von Fantasy und Horrorliteratur.

Dieses Genre stellt jene Fragen, für die unsere Theologie zu feige geworden ist.

Beispiel gefällig? Bitte schön. Er stammt aus dem Buch  „John dies at the end“ von David Wong:

Hattest Du schon einmal einen Traum, der mit einem Knall endete? Vielleicht feuerte im Traum jemand eine Waffe auf Dich ab. Und als Du wach wurdest, verschmolz der Pistolenknall in den Lärm einer umgekippten Mülltonne vor Deinem Fenster. Nun die verzwickte Frage: Woher wusste Dein Gehirn, dass die Mülltonne umfallen würde? Kann etwas in Dir hellsehen? Hier sind zwei Antworten, beide der Horrorliteratur entnommen:

1. Zeit ist kein linearer Ablauf, sondern eine Einheit, ein Ozean. Im Traum verlassen wir die Zeit, betreten die Ewigkeit und alles geschieht gleichzeitig. Darum war es für Dein Gehirn kein Problem, den Müllmann mit dem Pistolenschuss zu synchronisieren.

2. Die meisten unserer Träume, auch die längsten, dauern nur wenige Sekunden. Zeit kann also unterschiedlich lang empfunden werden und die Zehntel Sekunden zwischen Mülltonne und Aufwachen haben dem Gehirn gereicht um eine gefühlt halbstündige Storyline zu entwerfen, an deren Ende der Schuss fällt.

Faszinierende Gedanken, was? Und jetzt bist Du dran, vor allem wenn Du Priester oder Theologe bist. Aber auch, wenn Du Dich als gläubigen Journalisten siehst: Rede über so was! Aber bitte auf Deutsch und nicht auf Theologisch. Hab keine Angst davor, für verrückt gehalten zu werden. Stelle Fragen und gib Antworten aus dem Evangelium. Dann kommen wir „Zurück zum Wesentlichen“.

To be continued …