Große Verwirrung stiftet Papst Franziskus gerne in allen Kirchenlagern.
Einerseits benennt er klar und deutlich die moralischen Probleme unserer Zeit: Er geißelt Gender-Ideologie und Abtreibung als inakzeptabel, kritisiert Kapitalismus und Auflösung der Familie. Andererseits ist er der Rockstar unter den Päpsten und bringt verwirrende Aktionen, die selbst Jesse Pinkman den Mund offen stehen lassen würden – so wie neulich die Tischzauberer-Nummer während seines USA-Besuchs. Diesen PR-Einlagen lässt er auch konzeptionell Taten Folgen: Er beruft die Familiensynode ein, senkt bürokratische Hürden im Ehenichtigkeitsverfahren, ruft ein Gnadenjahr der Barmherzigkeit aus und verlangt mehr Bescheidenheit von Amtsträgern und Gläubigen.
Was so viele verwirrt ist eine geniale Kommunikationsstrategie, die in der Kirche längst fällig war: Nachdem sich Jahrhundertelang Päpste nur in kompliziert verschwurbelten bürokratischen Ergüssen an die Öffentlichkeit gewandt haben, ignoriert hier einer plötzlich sogar die Printform. Papst Franziskus setzt vor allem Zeichen, Bilder und Gesten ein, um den Menschen den Glauben zu vermitteln. Damit setzt er mehr auf gelebten Glauben, Taten und Bekenntnis, weniger auf Wissen, Kenntnis und theologischen Tiefgang. Wer durch Franziskus zum Glauben kommt, muss nicht unbedingt wissen, was er da glaubt. Entscheidend ist, dass er es „fühlt“ und glaubwürdig lebt. Fans seines Vorgängers Benedikt XVI., des wohl gelehrtesten Papstes der letzten Jahrhunderte, verstört das. Ich gebe zu, ich bin so ein Benedikt-Fan. Es war die scharfe analytische Kraft Ratzingers, die mich fasziniert und stark an den katholischen Glauben gebunden hat. Aber um durch Benedikt zum Glauben zu kommen, muss man enorm viel lesen. Franziskus muss man nur zusehen.
Papst Franziskus setzt auf Perzept statt Konzept
Franziskus erfüllt eine Forderung, die der Medienforscher Marshall McLuhan bereits in den 1960er Jahren an die katholische Kirche gestellt hat: Im elektronischen Kommunikationszeitalter darf sie nicht mehr argumentieren und missionieren wie zu Zeiten des Buchdruck-Monopols. Die erhöhte Kommunikationsgeschwindigkeit dezentralisiert, stellt die vatikanische Bürokratie vor unlösbare Kommunikationsprobleme. Der Jahrhundertelang vorherrschende Versuch, den Glauben als „Konzept“ rational zu vermitteln, wird im Zeitalter elektronischer Medien sinnlos. Fernsehen, Radio und Internet appellieren nicht an unsere linke Gehirnhälfte, die für Analyse zuständig ist. Sie sprechen unsere rechte Hirnhälfte an, die jedes Phänomen ganzheitlich erfassen will. Wenn also heute jemand Armut predigt, aber hinter dem prunkvollen Petersdom wohnt, können wir das nicht akzeptieren. Da kann man argumentieren so viel man will (und es gibt gute Argumente für den Prunk), aber der Augenschein dominiert und die Kirche wird deshalb unglaubwürdig. Franziskus hat das erkannt. Darum vermittelt er den Glauben nicht als Konzept, sondern als Perzept, als subjektive Wahrnehmung.
Folgt man McLuhan, und das tue ich hier, macht Franziskus damit alles richtig. Er folgt dem Vorbild der Heiligen, die alle eines auszeichnet: Sie leben in der Gegenwart. Die Vergangenheit zählt nicht, wurde zurückgelassen. Alles, was sie begleitet, ist das lebendige Wort Gottes, der Logos, Mensch geworden in Jesus Christus und niedergeschrieben im Evangelium. Es ist die Richtschnur für das Handeln der Heiligen und indem er ihnen folgt, hat Franziskus die richtige Richtung vorgegeben. Statt lieber in der sicheren Gewissheit der Vergangenheit zu leben, betritt er Neuland und erfüllt damit die Beschreibung McLuhans für Heilige:
„Heilige wollen in der Gegenwart leben. Darum sind sie unerträglich“
Gelebter Glaube statt theologischen Grabenkämpfen – ein Stein des Anstoßes statt gemütliches Fundament. Mit diesem Papst an der Spitze muss einem nicht bange sein.